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Vom Recht und Freiheit unglücklich zu sein

Dieser Text handelt vom Befreienden Gefühl das eigene Unglück bejaen zu dürfen und der Tücke unserer Positivitäts-Gesellschaft mit dem ewigen Streben nach Glück.

Podcast - ICF Basel, Serie Die Hoffnung stirbt zuletzt, Manuel Schmidt, Klagen – oder: vom Recht, unglücklich zu sein, 13.08.2017


Zwanghaft glücklich

Unsere Welt/Kultur ist sehr Glücksbesessen. Lebensglück wird stets zelebriert. Fotos auf Social Media, meist Ferienbilder, strotzen nur so vor , lachenden und schönen Menschen – von harter Lebensrealität keine Spur. Kein Wunder, Glück zieht an, macht attraktiv!

Bei Empfehlungen für ein Profil auf Partnerschaftsbörsen solltest du dich unbedingt mit humorvoll, Spass am Leben und glücklich beschreiben. Dies verspricht Erfolg bei der Partnersuche, denn wir Menschen wollen mit glücklichen Leuten zusammen sein. Das nützt auch bei Bewerbungen. Die positive Einstellung bzw. Erwartung das ist das A und O! Es reicht also nicht, wenn du nur gut in deinem Job wärst. Du solltest dabei auch noch Spass haben, vor Freude stahlen, die Vision der Firma mit Begeisterung teilen, also restlos glücklich sein mit dem was du tust! Was für ein Stress! Es ist ein erheblicher Druck im öffentlichen und privaten Leben stets so glücklich sein zu müssen.


Nun es stimmt wirklich, dass positiv eingestellte Menschen auch eher positive Lebenssituationen erleben. Eine Frieda Fröhlich, die ihre guten Seiten sieht, wird mit höherer Wahrscheinlichkeit eine Job-Chance erhalten, als ein Trudi Traurig mit Negativblick. Es hat etwas von selbsterfüllender Prophetie im Optimismus. Du ziehst das an, was du erwartest. Dieses offene Geheimnis wird in unzähligen Ratgebern, TV-Shows und von selbsternannten Gurus gepredigt! «Positives Denken» ist schon fast eine Glaubensbewegung geworden. Weil positive Gedanken positive Gefühle anregen, zieht das positive Erfahrungen an. Eine Glückspirale, wie man sagt. Das selbe mit Negativem, die Unglücksspirale. Darum denke stets positiv, so das Credo, erwarte immer das Beste! Jeder Gedanke soll sofort und wenn nötig mit Gewalt abgewürgt und jenem kein Raum gegeben werden! Das zieht sonst Unglück an!


Wie die Bibel das Klagen bejat

Was meint Gott dazu? In der Bibel lesen wir Psalm 13, 2-6:

HERR, wie lange willst du mich so ganz vergessen? Wie lange verbirgst du dein Antlitz vor mir? Wie lange soll ich sorgen in meiner Seele und mich ängsten in meinem Herzen täglich? Wie lange soll sich mein Feind über mich erheben? Schaue doch und erhöre mich, HERR, mein Gott! Erleuchte meine Augen, dass ich nicht im Tode entschlafe, dass nicht mein Feind sich rühme, er sei meiner mächtig geworden, und meine Widersacher sich freuen, dass ich wanke. Ich traue aber darauf, dass du so gnädig bist; mein Herz freut sich, dass du so gerne hilfst. Ich will dem HERRN singen, dass er so wohl an mir tut.


Was für ein Verstoss in positivem Denken David der Psalmist hier tut! Die Hälfte aller Psalmen sind Klagepsalmen. Anscheinend wollte es Gott so, dass wir diese so ungeschönt in der Bibel finden. Diese Psalmisten erlaubten sich laut und deutlich unglücklich zu sein, erlaubst du dir das auch? Wann leistest du dir den Luxus in unserer heutigen Zeit hin und wieder richtig unglücklich zu sein? Es scheint so unerhört, so frech in einer Kultur, wo Lebensfreude und Überfluss so zelebriert wird! Nun gemeint ist nicht in Schwermut zu schwelgen, sondern angemessen auf bestimmte Lebensumstände reagieren zu dürfen. Es ist keine Schande mal richtig unglücklich zu sein und kein Spass am Leben zu haben. Im Gegenteil! Auf bestimmte Lebensereignisse sollte man wirklich nicht mehr positiv reagieren, man sollte sich der eigenen Not und Verzweiflung stellen können.


Genau das ist das Problem der Ideologie des Positiv-Denkens. Jeder hat logischerweise lieber positive Gedanken, Gefühle und Situationen. Jeder will in einer Welt leben voller Glück. Doch das verzwickte ist einfach, dass dies nicht die Welt wäre in der wir leben! Unsere Welt gibt uns nicht immer Anlass für positive Regungen. In der Positiv-Denk-Ideologie werden die eigenen negativen Regungen verboten, dieses Verdrängen von Negativem, überspielen und nicht stellen, dies alles ist extrem gnadenlos sich selbst gegenüber. Tabuisierung ist zu tiefst ungesund, die Verleugnung der Realität birgt die Entfremdung von sich selbst. Negative Empfindungen sind nichts was man sich wünscht oder geniesst, aber sie sind wichtig und richtig als Reaktion auf Erlebtes. Genau dies ist die Einsicht der Klagepsalmen. Da sind Menschen, die sprechen ihr Unglück aus.


David steht zu seinem Unglück in der Gegenwart von Gott. Er bringt es vor Gott, weil es mit seinem Glauben etwas macht. Er hat Zweifel am Wohlwollen Gottes. Kennen wir das nicht, dass wir das Gefühl haben Gott tut nichts und schaut nur zu? Darf man sich so Gott gegenüber äussern? Anscheinend schon.

Auch Jesus selbst hat in seiner dunkelsten Stunde, nach Folter und Verleugnung zu Gott geschrien: „Eloi, Eloi, lema sabachtani“, „mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ – so beginnt der grosse Passionspsalm 22. Jesus hatte sich nicht für einen Lob- oder Dank-Psalm und positives Denken entschieden. Er ist nicht am Kreuz gehangen und hat «look at the bright side of life» gesungen. Das ist die Ironie in der Idee, es müsse in allem etwas zwingend positives haben; spätestens, wenn du gefoltert am Kreuz hängst, weisst du, das ist falsch. Es gibt Situationen wo es nichts Glückliches mehr abzugewinnen gibt, plötzliche Krankheiten, wenn ein Kind vom Auto überfahren wird, etc. Es gibt Situationen wo es wirklich angemessen ist unglücklich zu sein. Die Klagepsalmen zeigen uns, wie wir damit vor Gott kommen können. Klagen ist zwar das Gegenteil von positivem Denken, es ist aber keine Hoffnungslosigkeit. Klagen ist Ausdruck von Hoffnung. Wer noch zu Gott geht und klagt, der kämpft, der hat noch Hoffnung! Wer aber Hoffnung verliert, der sagt nichts mehr, wird apathisch, zynisch. «Es darf doch so nicht sein!» Wer klagt, rennt trotzig zu Gott und bei Gott kann neue Hoffnung aufkeimen.


Ertragen und das Tragen von anderen






Immer dann, wenn alle sich wieder mal streiten und der Meinung sind, mit absoluter Sicherheit den Durchblick über eine Situation zu haben, weiss ich, dass die Wahrheit mindesten 3-dimensional ist; meine Sicht, die der anderen und Gottes Sicht. Und wenn wir Menschen nicht gewillt sind etwas aus einer höheren Perspektive zu betrachten, befinden wir uns sogar im 2-Dimensionalen Bereich. Das ist tatsächlich sehr beschränkt.


Stell Dir vor, vier taub-blinde Leute stehen um einen Elefanten. Einer bekommt den Rüssel und ein anderer die Ohren, der Dritte ein Bein und der Vierte den Bauch. Sie würden alle etwas anderes über den Elefanten behaupten. Umso eindrücklicher wenn da ein Gott ist, der den Elefanten sogar sehen und hören kann. Er besitzt mehr «Sinne», als wir Menschen. Darum können wir auch nicht immer verstehen, wie Gott entscheidet und erklärt was ein weiser Umgang mit dem «Elefanten» wäre. Den einen spricht es an, aber die drei andere müssen aus Vertrauen einfach blind und taub gehorchen.


Ein gutes Bild zum Thema Perspektive, zeigt auch das Johari-Fenster. Die beiden amerikanischen Sozialpsychologen Joseph Luft und Harry Ingham sind seine Urheber. Mit Hilfe des Johari-Fensters kann der so genannte „blinde Fleck“ im Selbstbild eines Menschen dargestellt werden. Zudem zeigt es auch schön, wie hilfreich Selbstreflexion für uns ist.


Unsere Sicht ist immer begrenzt. Wir können nur das sehen, was man uns gezeigt und erzählt wird, sowie wir erleben und erfahren können und umgekehrt, was wir andere wissen lassen. Das ist der Öffentliche Bereich oder meine «Öffentliche Person». Doch all das, ist nie die ganze absolute Wahrheit. Ich weiss von mir Dinge, die andere nicht wissen (mein Geheimnis) und andere wissen Dinge, die ich nur erfahren kann, wenn sie es mich wissen lassen. Da bin ich wie «blind».

Und dann gibt es noch die Dinge von denen ich nichts weiss und andere auch nichts wissen können, die aber trotzdem existieren. Das Unbekannte oder Unbewusste. Du kannst aber absolut sicher sein, dass Gott sie kennt.

Manch Unbekanntes und auch blinde Flecke kann man in der Beratung und Seelsorge durch Selbstreflexion ins Bewusstsein holen. Meistens verändert das die bisherige Sicht langfristig, weil da plötzlich zur bisherigen Sicht weitere Faktoren dazu kommen. Das ist spannend und lehrt einem die Demut, dass Meinungen, Vorurteile und Sichtweisen immer einseitig, subjektiv, veränderbar und darum auch manipulierbar sind im Positiven und Negativen. «Nur sehen was man sehen will», ein absolut zutreffendes Sprichwort. Wir können leider von anderen in unserer Sichtweise gelenkt werden, aber auch wir selbst können unsere Sicht selber lenken und gegensteuern. Meine Sicht der Dinge dient letztlich immer meinem Lebensstil.





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